In einem gemeinsamen Statement vom 12. März 2020 rufen die 27 EU-Mitgliedsstaaten (sowie weitere 6 nicht-Mitgliedstaaten) die russischen Autoritäten auf, die systematische Verfolgung von Angehörigen der Zeugen Jehovas zu beenden, die in Russland Hausdurchsuchungen, willkürlichen Verhaftungen, strafrechtlichen Ermittlungen sowie Gefängnisstrafen bis zu sieben Jahren ausgesetzt sind.
Besonders besorgniserregend sind die Berichte über Folter und Misshandlungen von Mitgliedern der Zeugen Jehovas in Gefängnissen oder Polizeigewahrsam. Diesen Berichten zufolge, wurden im Februar fünf Personen von Gefängnisbeamten körperlich so sehr misshandelt, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Eine weitere Person soll unter Elektroschocks gefoltert worden sein, um die Herausgabe von Namen weiterer Angehöriger der Religionsgemeinschaft zu erzwingen.
Im persönlichen Gespräch teilten mir einige Angehörige der Zeugen Jehovas, die zum Teil selbst in Russland gelebt haben, ihre wachsende Sorge um Familienangehörige und Freunde in der Russischen Föderation mit. Mittlerweile fanden fast 900 Hausdurchsuchungen statt, mindestens 347 Personen wurden unter dem “Extremismus-Paragraphen” (Art. 282.2) verurteilt, 29 davon befinden sich im Gefängnis, zwischen 5.000 und 7.000 Personen haben das Land aufgrund der Repressalien verlassen.
Seit die Zeugen Jehovas im April 2017 in Russland verboten wurden, hat sich die Situation drastisch verschlechtert. Die Zusicherungen der Regierung, das Verbot beziehe sich nur auf die strukturell-organisatorische Ebene und die Religionsfreiheit Einzelner werde dadurch nicht einschränken, haben die russischen Behörden längst selbst widerlegt. Unter Paragraph 282.2, der “Anstiftung zum Extremismus” unter Strafe stellt, werden sowohl Kritiker als auch unliebsame Gruppen systematisch verfolgt. Sämtliche Verurteilungen von Zeugen Jehovas in Russland basieren auf dem von Menschenrechtsorganisationen als “vage und übermäßig breit” kritisierte Anti-Extremismus-Gesetz. Allein die Tatsache als Mitglied der Zeugen Jehovas identifiziert zu werden und seine Religion privat zu praktizieren, reicht aus um unter Artikel 282.2. zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden.
Folter zählt zu den schwerwiegendsten Verletzungen der Menschenrechte und der Menschenwürde. Sie stellt außerdem eine Verletzung der Menschenrechte, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention, des UN-Zivilpakts sowie der UN-Antifolterkonvention dar.
Russland hat all diese Menschenrechtsinstrumente ratifiziert und ist dazu aufgerufen die darin verankerten Rechte auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit sowie Religionsfreiheit einzuhalten. Die brutale Verfolgung der Zeugen Jehovas und anderer religiöser Minderheiten in Russland muss ein Ende nehmen!
Weiterführende Informationen:
https://www.jw-russia.org/en/docs/prison.html
https://www.hrw.org/de/news/2017/07/18/russland-angriff-auf-meinungsfreiheit
Sehr geehrte Frau Dr. Kugler,
danke für diesen wertvollen Bericht! Ihr Engagement, christliche Werte in der Politik zu vertreten und für umfassenden Schutz der Menschenwürde und Freiheit einzutreten, ist heutzutage nicht unbedingt populär und zeugt daher von einer Courage, die echte Hochachtung verdient.
Ich bin selbst Zeugin Jehovas und verfolge die Entwicklungen in Russland mit großer Sorge und Betroffenheit. Ich frage mich: Was macht einer Regierung, die fest im Sattel sitzt, solche Angst, dass sie eine kleine religiöse Minderheit friedliebender Bürger als derart große Bedrohung ansieht? Als Bedrohung, der man nur mit härtesten Repressalien wie gegen Schwerverbrecher anzukommen meint?
Faszinierend finde ich dagegen, mit welchem Mut und Glauben Zeugen Jehovas in Russland sich der Situation stellen. Da drängt sich die Parallele zur Christenverfolgung im 1. Jahrhundert einfach auf. Auch was den unerschütterlichen Zusammenhalt unter den russischen Zeugen Jehovas betrifft. Sie bringen ihren festen Entschluss, die biblische Botschaft des Friedens und der Hoffnung auch in Zukunft zu den Menschen zu bringen, mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Repressionen werden nichts nützen. Wir werden weiter freundlich und mit Respekt über Jehova und sein Wort, die Bibel, sprechen. Wir haben unter dem Terror der NS-Diktatur nicht aufgehört, wir haben in den dunkelsten Tagen der Repressionen in unserem Land nicht aufgehört, und wir werden auch jetzt nicht aufhören.“
Egal ob in der NS-Zeit, unter dem Faschismus, Stalinismus oder im Angesicht der gegenwärtigen behördlich angeordneten Repressalien in Russland: Zeugen Jehovas sind und bleiben Vorreiter, wenn es um die Durchsetzung der Rechte von Minderheiten geht. In diesem Sinne erwarte ich mit Interesse eine Reaktion der russischen Regierung auf das gemeinsame Statement der EU-Staaten. Und ich appelliere an jeden mündigen Bürger, vor dem Unrecht, das man Einzelnen antut, nicht die Augen zu verschließen. Charles de Montesquieu prägte dazu im 18. Jahrhundert den wichtigen Merksatz: „Das Unrecht, das einem Einzelnen widerfährt, ist eine Bedrohung für alle.“
Viel Erfolg für Ihren Einsatz!
Tamara Loretz, Innsbruck
Sehr geehrte Frau Dr. Kugler,
vielen Dank für Ihren persönlichen Einsatz gegen die Verfolgung der Zeugen Jehovas und anderer religiösen Minderheiten in Russland.
Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre war ich beruflich sehr oft in der ehemaligen UdSSR/nachfolgend Russland und habe “Perestroika und “Glasnost” sozusagen live miterlebt. Besonders beindruckt und erfreut war ich, dass die jahrzehntelange Unterdrückung der Zeugen Jehovas beendet wurde und diese friedliche Religionsgemeinschaft ihren Gottesdienst frei ausüben konnte.
Umso mehr bin ich betroffen, dass seit Jahren, die gesetzlich verankerten Menschenrechte, besonders Zeugen Jehovas gegenüber, wiederum missachtet werden.
Deshalb schätze ich sehr, wie Sie auf die unrechtmäßige Verfolgung von Zeugen Jehovas hinweisen und sich für ein Ende dieser Diskriminierung einsetzen.
Wolfgang Riedl