Bei der Nationalratssitzung am 14. Oktober 2020 konnte ich einen Antrag zur Erhöhung des niedrigen Strafmündigkeitsalters in zahlreichen Staaten außerhalb Europas (901/A(E)) durchs Parlament bringen.
Obwohl internationale Menschenrechtsstandards ein Strafmündigkeitsalter von 14 Jahren vorsehen, gibt es rund 20 Länder, in den die Strafmündigkeit bei 7 (!) Jahren liegt. Dass Kinder in Haft ihrer Kindheit beraubt werden und keine Bildung erhalten, dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen!
Mein herzlicher Dank geht an Prof. Manfred Nowak und das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, die mit der Globalen Studie über Kinder in Unfreiheit ganz wichtige Impulse zu diesem Thema geliefert haben. Mehr zur Studie: https://gudrunkugler.at/globale-studie-ueber-kinder-in-unfreiheit-2/
Meine Rede zum Nachhören (4 Minuten 45) u nd -lesen:
Abgeordnete Dr. Gudrun Kugler (ÖVP): Herr Präsident! Frau Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal, glaube ich, muss man dem Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und auch Manfred Nowak Danke sagen, der im November 2019 diese Studie vorgelegt hat, die nicht nur in Österreich rezipiert wurde, sondern auf der ganzen Welt, in der UNO hohe Beachtung fand. Ich habe ihm noch einmal eine E-Mail geschickt und ihn gefragt: Herr Professor, was geben Sie mir heute mit, wenn dieses Thema ins Parlament kommt?, worauf er mir ein paar Sätze geschrieben hat, die ich Ihnen jetzt vorlesen möchte. Das sind ganz starke Gedanken darüber, was er persönlich während der Erstellung dieser Studie erlebt hat.
Er hat gesagt – Herr Kollege Stefan, das gibt dir vielleicht ein paar Antworten auf deine Rede –: Ich habe mit acht- und neunjährigen Kindern in einem Kindergefängnis in Togo gesprochen. Es handelte sich um Straßenkinder, die wegen Diebstahls und ähnlicher geringfügiger Delikte, die sie begangen hatten, um ihr Überleben zu sichern, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden waren. Für diese Kinder war es besonders fürchterlich, dass sie in kleinen Zellen eingesperrt waren, die sie immer nur für kurze Zeit verlassen durften, um im Gefängnishof ein wenig herumzulaufen. Sie hatten keinen Zugang zu Bildung im Gefängnis und keinerlei Zukunftsperspektive, da sie nach ihrer Entlassung in Ermangelung jeglicher Rehabilitierungsmaßnahmen und sozialer Unterstützung wieder auf der Straße landen würden. Solch traurige Kinderschicksale gibt es leider in vielen Staaten der Welt. – Zitatende.
Die internationale Konvention der Kinderrechte sagt ganz klar, und das steht komplett außer Streit: Strafmündigkeit ab 14 Jahren, wenn, dann Unterbringung in familienähnlichen Strukturen, Gefängnis nur als allerletztes Mittel, und für diese Kinder und Jugendlichen muss der Fokus immer auf der persönlichen Entwicklung, Ausbildung, Sozialisierung beziehungsweise Resozialisierung liegen.
Warum stellen wir so einen Antrag heute im österreichischen Parlament und warum richtet sich das an unsere Justizministerin? – Weil Österreich sowohl bilateral als auch multilateral – und du wirst das aufgreifen, Frau Minister –, aber auch innerhalb der Europäischen Union in dieser Frage sehr wohl einen Beitrag leisten kann. In einer globalisierten Welt geht uns das etwas an, was anderswo passiert, und, Herr Kollege Stefan, das ist kein Mit-dem-erhobenen-Finger-Zeigen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die internationale Gemeinschaft zusammengesetzt und sich mit der Frage beschäftigt: Wie können wir solche Verbrechen in Zukunft verhindern?, und dann hat man gemeinsam die Menschenrechte definiert. Es ist richtig, dass wir nicht in jeder Angelegenheit, in jedem Land immer jedem unsere Meinung aufoktroyieren wollen oder sollen, aber es gibt Grundstrukturen, Grundstandards, hinsichtlich derer wir füreinander Verantwortung übernehmen müssen – die Kinder in diesem Gefängnis in Togo können es selber nicht. Österreich und die Europäische Union haben politisches Gewicht, haben wirtschaftliches Gewicht und dieses soll für die Einhaltung dieser Grundstandards auch unbedingt genützt werden. Ich finde es deshalb sehr, sehr schade, dass die FPÖ bei diesem Antrag nicht mitstimmen wird. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)
Wenn wir aber jetzt über Kinder in Unfreiheit reden, dann können wir auch andere Formen der Unfreiheit, die nicht mit Institutionen und staatlicher Gewalt zusammenhängen, betrachten und uns Gedanken darüber machen, ob es nicht auch in Österreich Handlungsbedarf gibt. Ich habe mir die Empfehlungen des Ausschusses für Kinderrechte der UNO angeschaut, die im März 2020 veröffentlicht wurden, und da heißt es, dass Österreich in einigen Punkten noch Handlungsbedarf hat, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Kinderhandel – das ist auch eine Form von Unfreiheit –, bei der Bekämpfung von Kinderehen – auch das gibt es bei uns – und bei der Bekämpfung von sexueller Ausbeutung insbesondere durch Kinderpornografie.
Ich glaube, wir müssen uns das Problem genauer ansehen. Wenn in Deutschland ein Kinderpornografiering ausgehoben wird, gigantische Datenmengen, Abbildungen von schwerem sexuellen Kindesmissbrauch sichergestellt werden, dann müssen wir auch in Österreich dafür sorgen, dass so etwas aufgedeckt wird, dass das bekämpft wird, dass so etwas nicht vorkommt. Interessanterweise sind die Anzeigen im Bereich Kinderpornografie rasant angestiegen, ich habe die Zahl im „Standard“ gelesen: Von 2017 auf 2018 sind die Anzeigen um 58 Prozent gestiegen.
Ich glaube, dass das ein Thema ist, das wir uns auf jeden Fall in Österreich anschauen müssen. Diese Schauplätze müssen wir ernst oder vielleicht auch ernster nehmen, denn Kinder, meine sehr geehrten Damen und Herren, Kinder sind das Wertvollste, das wir haben. Wir dürfen ihnen ihre Kindheit nicht rauben und wir dürfen ihre kleinen Wesen nicht verletzen. – Vielen Dank.
Weitere Informationen – Medienberichte: https://extrajournal.net/2020/09/29/kinder-sollen-nicht-vor-strafgerichte-kommen/