Assistierter Suizid: Warum wir die Legalisierung nicht wollten
16. Dezember 2021
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Im Dez 2020 hat der Verfassungsgerichtshof das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung als verfassungswidrig aufgehoben. Wir finden dieses Erkenntnis nicht richtig, wir finden es höchst problematisch. Aber wir akzeptieren die Entscheidung des VfGH: Das ist Demokratie.

Am 16. Dezember beschlossen wir dafür die Rahmenbedingungen – und zwar restriktive und präventive Rahmenbedingungen. Es ist ein Verhandlungskompromiss der Koalitionsparteien. Auch das ist Demokratie. Für einige Änderungen hat die Volkspartei gekämpft: so z.B. das Sterbeverfügungsgesetz als einzige Ausnahme des Verbots und den neuen Status Quo in den Verfassungsrang zu heben.

Viele bezeichnen das Erkenntnis des VfGH zurecht als Dammbruch und Kulturbruch:

Das Erkenntnis ist ein Kulturbruch, denn unser gesellschaftliches Leitmotiv war bisher: Leben als absolutes Gut. Beim Leben helfen, nicht bei der Selbsttötung helfen. „Hilfe“ bekommt eine andere Bedeutung – man könnte fast von bewaffnetem Mitleid sprechen!

Ein Dammbruch, weil die Tür, die der VfGH geöffnet hat, schnell weiter aufgehen wird. Weil Angebot Nachfrage schafft. Die NEOS haben bereits angekündigt, weitere Liberalisierungen voranzutreiben. In vielen Ländern sehen wir schrittweise Ausweitungen auf Kinder, Nicht-Einwilligungsfähige, Lebenssatte, ja gar auf Gefängnisinsassen.

Die Befürworter sprechen von Selbstbestimmung und Freiheit: Die sogenannte Selbstbestimmung wird schnell zur Fremdbestimmung. Die beschworene Freiheit wird schnell zur Unfreiheit!

Ein Mitglied der belgischen Euthanasie-Kontrollbehörde, der über 4.000 Fälle geprüft hatte, meinte: „Ich habe viele Fälle gesehen, wo ein gewichtiger Teil des Leidens war, dass der Patient dachte: Ich bin eine Last für meine Angehörigen.“  Niemand will eine Last sein für Familie und Umfeld. Schnell wird aus einem Recht eine „Pflicht“. Wir wollten diese Tür keinen Spaltbreit öffnen!

Sehr geehrte Damen und Herren, die beschworene Freiheit könnte man bildlich als „Freiheit eines Waisenkindes“ bezeichnen. Dieser Kulturbruch macht unsere Gesellschaft ein Stück weit einsamer und unsolidarischer.

Jeder Mensch ist in jeder Lebenslage unendlich wertvoll.

Eine Selbsttötung ist nie Privatangelegenheit, sondern hat Auswirkungen – nicht nur auf nahe Angehörige, sondern auch auf Menschen in ähnlichen Situationen. Eine Selbsttötung ist immer tragisch! Es braucht deshalb keine Assistenz zur Selbsttötung, sondern Assistenz zum Leben!

Darum hat die Regierung am 15. Dezember substantielle Mittel für psychologische Unterstützung sowie den Ausbau und die Regelfinanzierung von Palliativmedizin und Hospizen beschlossen. Denn ein Mensch soll an der Hand nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben. Nicht durch die Hand. An der Hand.

Dazu hier meine Rede aus der Nationalratssitzung vom 16. Dezember 2021 zum Nachhören:

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2 comments

  1. Melanie Tamesberger

    Liebe Gurun,
    Ein großes Danke für Deinen unermüdlichen Einsatz für das Leben und dass Du alles rausgeholt hast im Gesetz was möglich war.
    Es ist ein Geschenk Gottes, dass Du in der Politik bist.
    Weiter im Gebet verbunden!
    Melanie

  2. Die schlecht begründete, politisch motivierte Willkürentscheidung eines Verfassungsgerichts ist eines ganz bestimmt nicht: Demokratie.

    Die ÖVP hat durch ihre Beteiligung an derAuswahl der Verfassungsrichter leider ein erhebliches Mass an Mitschuld.