Das Problem mit den Social Media: Doku „The Social Dilemma“
9. August 2021
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Filmtipp The Social Dilemma (Netflix).

Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte:

Das Produkt bist DU.

Unter dem Titel „The Social Dilemma“ bietet der Netflix-Dokumentationsfilm einen tiefen – und schockierenden – Einblick in das Geschäftsmodell der sozialen Medien und dessen Folgen. „Wenn ein Produkt nichts kostet, bist DU das Produkt!“ Anders als wir manchmal meinen, sind nicht wir die Kunden von sozialen Medien. Vielmehr sind wir User (User sagt man übrigens nur bei Drogen und in der Computerwelt) und damit das Produkt, das an die wahren Kunden verkauft wird – an Werbeanbieter.

Werbung hat zum Ziel, unsere Aufmerksamkeit möglichst lange und intensiv in Anspruch zu nehmen und unser Denken und damit unser (Kauf-)Verhalten zu verändern. Das Produkt, das Social Media Inhaber an ihre Kunden verkaufen ist die effektiv nachweisbare Veränderung unseres Verhaltens.

Manipulation als Geschäft – mit verheerenden Folgen.

Aufmerksamkeitssteigerung heißt das Ziel der Investoren – und damit der Social Media Betreiber. Dazu ist jedes Mittel recht: umfassende Datensammlung (inklusive der exakten Zeit, die man beim Scrollen durch den Feed bei einem bestimmten Posting bleibt) für die Entwicklung immer treffsichererer Algorithmen. Psychologen sind für die Perfektion von der Steigerung der Aufmerksamkeit und Bildschirmzeit zuständig.

„The Social Dilemma“ erinnert an das Geständnis von Gehilfen in einem Kriminalfall, die sich nach langen Gewissenskonflikten schließlich auf die Seite der Guten schlagen. Besonders unter die Haut gehen die Berichte von Insidern über die psychologischen und technischen Teams der Social Media Konzerne, deren Aufgabe darin besteht, basierend auf den menschlichen Bedürfnissen nach Zuneigung und Anerkennung, Algorithmen zu entwickeln, die als einzige Ziel haben, die Screen-Time – und damit eine wachsende Abhängigkeit der Nutzer – zu maximieren. Das geschieht vor allem durch soziale Belohnung, Interaktion, die den Eindruck von Bindung vermittelt und algorithmen-basiertes Anzeigen von jenen Inhalten, für die ein besonderes Interesse besteht.

Bei einigen Mitarbeitern machte sich schließlich Unbehagen breit. Denn während die Methoden der Betreiber immer ausgeklügelter werden, entbehren diese jegliche ethische Richtlinien. Gleichzeitig belegen mehr und mehr Studien die negativen Folgen von exzessiver Social Media Nutzung: Darunter der Anstieg an psychologischen Erkrankungen, Suchtverhalten, unrealistische Vorstellungen vom eigenen Aussehen, die in Essstörungen münden, der starke Rückgang der „echten“ sozialen Interaktion – Jugendliche erleben weniger Abenteuer, gehen weniger Beziehungen ein, machen den Führerschein später, … – und schließlich die steigende Selbstmordrate unter Jugendlichen. „Diese Dienste bringen unsere Kinder um“, bilanziert ein ehemaliger Social Media Mitarbeiter schonungslos. Der österr. Familienbericht 09-19 konstatiert stark erhöhtes Streitpotential aufgrund von Handynutzung in den Familien.

Früher hatten Erfindungen wie das Fahrrad oder die Schreibmaschine die bestmögliche Nutzung und Handhabung für den Menschen zum Ziel. Heute sehen wir uns einem Markt gegenüber, der in seiner Grundstruktur allein auf Manipulation des Nutzers ausgerichtet ist.

Dass die Steigerung der Nutzerzeit durch algorithmenbasierte Empfehlungen langfristig in soziale Isolation führt und Einsamkeit, Entfremdung und verzweifelte Eltern zur Folge hat, ist allerdings nur der erste Teil des Problems.

Codierte Meinung.

Algorithmen sind Meinungen in Codes. Wo man sie als „künstliche Intelligenz“ bezeichnet, verändern sie sich selbstständig und entwickeln sich weiter. Sie sind darauf perfektioniert, das Interesse der User zu kennen und uns (nur!) das anzuzeigen, was uns interessiert – denn wir sollen ja möglichst lange vor dem Bildschirm gehalten werden. Gefüttert werden Algorithmen mit dem spezifischen Userverhalten: soziale Interessen, Kaufverhalten, Suchbegriffe, inhaltliche und politische Vorlieben. Wenn dies unseren Modegeschmack betrifft, empfinden wir es meist als durchaus positiv, dass uns jene Artikel und Werbungen vorgeschlagen werden, die unserem persönlichen Geschmack entsprechen. Doch was passiert, wenn dies auch mit politischen Inhalten gemacht wird?

Die Truman Show für jeden von uns.

Immer mehr Menschen informieren sich per soziale Medien über das Tagesgeschehen, politische Inhalte und die öffentliche Debatte. Wir wollen nicht nur wissen, was passiert, sondern auch, was unsere Freunde darüber denken. Die sozialen Medien bilden einen alternativen medialen Raum, der in Zeiten weitreichender Medienmonopole seine Aufgabe und Berechtigung hat.

Doch gleichzeitig ist dieser Raum keine ausgeglichene Informations- und Meinungsplattform – er ist vielmehr algorithmenbasiert: Jeder Facebook- oder Instagram-Newsfeed sieht anders aus. „Algorithmenbasiert“ bedeutet, dass man nur das sieht, was die eigene Meinung bestärkt – alles andere wird erst gar nicht angezeigt. Dies schafft für jeden Nutzer eine eigene Welt, eine eigene Truman Show!

Je mehr man sich zu einem Thema ansieht, desto mehr wird einem dazu angezeigt, desto mehr sieht man, wie viele seiner Freunde diese Meinung teilen. Verstärkt wird dies auch dadurch, dass viele weniger mit Menschen einer entgegengesetzten Gesinnung (selbst nur im Sinne von Social Media „Freundschaften“) befreundet sind. Von gegenteiligen oder alternativen Meinungen bleiben wir daher auf den sozialen Medien grundsätzlich verschont. Doch mit welchen Folgen? Wir werden immer mehr in unserer eigenen Meinung bestärkt und dadurch radikalisiert. Wir reden nicht länger miteinander sondern wollen nur jene Kanäle hören, die uns sagen, dass wir Recht haben. In unserer postmodernen Gesellschaft, in der Meinung Privatsache ist und Konfrontation als persönliche Beleidigung empfunden wird, ist ein System, in dem jeder das „Recht auf seine eigenen Fakten“ hat, mehr als gefährlich.

Dabei spielt auch die kollektive Meinungsbildung und –beeinflussung eine Rolle: Zum Beispiel variieren Google-Suchergebnisse – sowohl in Reihung als auch in Vorschlägen in der Suchzeile – je nach Person und selbst Ort, von wo aus die Suche vorgenommen wird.

Polarisierung als Konsequenz.

Die Folgewirkung für eine Gesellschaft, deren Bürger sich auf diese Weise (des-)informieren, ist nicht zu unterschätzen. Einer aktuellen Umfrage zufolge bezeichnet ein Drittel aller Republikaner Demokraten als „Gefahr für die Nation“, mehr als ein Viertel der Demokraten sagt dasselbe über republikanische Staatsbürger. Viele sprechen von einer nie dagewesenen Spaltung. In Europa hat sowohl die politisch Rechte als auch Linke großen Zulauf. Der Mangel an Dialog und konstruktiver Auseinandersetzung mit anderen Meinungen polarisiert unsere Gesellschaft. Die interviewten Social-Media-Macher im Film „The Social Dilemma“ sprechen sogar von der Gefahr eines Bürgerkriegs als Konsequenz!

Es wurde ein System geschaffen, das von Desinformation regelrecht profitiert. Alles, was die Menschen fesselt, ist profitabel. Ob es wahr ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Schlechte Nachrichten verbreiten sich schneller als Gute. Verschwörungstheorien blühen. Oft können wir Wahrheit nicht mehr von Fake News unterscheiden. Und noch schlimmer: Aufrufe zur Gewalt verbreiten sich über die sozialen Medien mit einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit und Breitenwirkung. In Myanmar wurde die Gewalt gegen Rohingya-Muslime durch soziale Medien deutlich angestachelt.

Wir können das Problem auch nicht weiterhin ignorieren und tatenlos bleiben! Die früheren Social-Media-Macher rufen am Ende des Films nach staatlicher Regulierung.

  • Für das Fernsehen wurden Kinderschutzrichtlinien eingeführt, z.B. mit zeitlichen Beschränkungen für bestimmte Inhalte. Für das Internet stehen solche Schutzmaßnahmen noch aus – und sind längst überfällig.
  • Algorithmen müssen dem realen Leben angepasst und abgeschwächt werden.
  • Kinder und Jugendliche müssen wir besser schützen, alternative soziale Angebote schaffen und in einem gesunden Umgang mit den sozialen Medien schulen.
  • Meinungsfreiheit schützen: Keine Instanz sollte damit beauftragt werden, zu entscheiden, was wahr und was falsch ist oder was im Netz gesagt werden darf und was nicht – außer Aufrufe zur Gewalt oder Terrorismus.
  • Große Social Media Plattformen sind wie ein öffentlicher Ort, haben ein Monopol. Dementsprechend müssen sie sich verhalten und für alle gleichberechtigt und ohne Diskriminierung offen sein.
  • Und dann muss jeder seine eigenen schlechten Gewohnheiten arbeiten: „Notifications“ ausschalten, selbst suchen anstatt nur vorgeschlagene Videos anzuschauen und bewusst auch Accounts von Menschen abonnieren, deren Meinungen wir nicht teilen. Damit wäre einmal ein Anfang gemacht.

Wir brauchen ein globales Umdenken und engagierte kreative Lösungen. Eine Diskussion darüber wäre zumindest ein Anfang!

Link zum Film „The Social Dilemma” auf Netflix: https://www.netflix.com/watch/81254224?trackId=13752289&tctx=0%2C0%2C827a11d3af3ab03f4c76e19981828a19fbae606c%3A64290dd9e14a8a5711315978ce185ff67f0caa2f%2C827a11d3af3ab03f4c76e19981828a19fbae606c%3A64290dd9e14a8a5711315978ce185ff67f0caa2f%2Cunknown%2C

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