Am 26. März 1905 wurde Viktor Frankl im zweiten Wiener Gemeindebezirk geboren. Zu seinem 120. Geburtstag erfuhr er endlich eine Würdigung im Parlament! Hochkarätige Referentinnen und Referenten sprachen bei einer von mir initiierten Diskussionsveranstaltung über die Bedeutung Viktor Frankls – für den Einzelnen, für die Existenzanalyse und Logotherapie, in der Rehabilitation, für die Jugend, für Unternehmer und Führungskräfte und – wie könnte es im Parlament anders sein? – für die Politik.
Es hat lange gedauert, bis Frankls Bedeutung auch in Österreich erkannt wurde. „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ war in den USA bereits 1959 ein Bestseller, jedoch fand das Buch hierzulande erst am Ende der 80er Jahre größere Beachtung. Es freut mich sehr, dass ihm nun auch im Parlament so viel Wertschätzung entgegengebracht wurde. Mit den Worten eines ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten durfte ich endlich im Parlamentsgebäude sagen: „Herr Professor Frankl: Österreich ist stolz auf Sie!“
Diese Veranstaltung und Würdigung wurde durch den Campus Tivoli – den Think Tank der Volkspartei – sowie den ÖVP-Parlamentsklub ermöglicht. Ein herzliches Dankeschön an den Präsidenten des Campus Tivoli, Wolfgang Sobotka, an Klubobmann August Wöginger sowie an das gesamte Team, insbesondere an die Mitarbeiterin des Campus Tivoli, Laura Farley, und mein Büro unter der Leitung von Assistentin Tabitha Rauscher.
Viele kennen die wunderbaren und tiefgründigen Aussagen Frankls zur menschlichen Existenz. Doch welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Politik und den öffentlichen Diskurs? Aus den Beiträgen unserer Veranstaltung habe ich folgende zentrale Punkte herausgearbeitet:
- Sinnorientierung spielt für die Art und Weise, wie Politik gestaltet wird und für jeden einzelnen Politiker eine Rolle – Sinn durch ein Über-sich-selbst-Hinauswachsen, durch die Förderung des Gemeinwohls und das In-Angriff-Nehmen langfristiger Ziele. Dazu passt auch das Konzept der Selbstüberwindung. So sagte Frankl: „Ich muss mir von mir selbst nicht alles gefallen lassen!“
- Damit der Mensch Verantwortung für sein Handeln übernehmen kann, muss die Politik die Freiräume für selbstverantwortetes Handeln offenhalten, ihn nicht in Abhängigkeit halten und stets zur Übernahme von Verantwortung motivieren. Das steht beispielsweise im Gegensatz dazu, „den Menschen alles Geld abzuknöpfen und es dann gönnerhaft wieder zu verteilen“ (Zitat eines Teilnehmers).
- Frankls Zuruf „Immer und unter allen Umständen hat das Leben Sinn“ ist eine zutiefst gesellschaftspolitische Aussage, wenn man die Debatten über Leben mit Behinderung, im hohen Alter, in Krankheit oder am Lebensanfang betrachtet. Jeder Mensch ist unersetzbar – jeder hat eine Aufgabe (wie es auch die Gründerin des Frankl-Zentrums, Johanna Schechner, formulierte): Dies ist ein Menschenbild, das die Einzigartigkeit des Menschen betont. Menschenbilder sind die Wurzel jeder politischen Überzeugung.
- „Der Mensch ist nicht nur ein Individuum, sondern auch ein auf die Gemeinschaft gerichtetes Wesen“, meint Frankl an anderer Stelle. Daraus liest der Neurologieprofessor Siegfried Kasper die Verantwortung des Menschen ab, sich „an der Lösung der Fragen der Gesellschaft, des Staates, letztlich der Weltgemeinschaft und Menschheit an sich“ zu beteiligen. Der Mensch möchte nicht nur als Roboter sondern als Teil einer Gemeinschaft wahrgenommen werden – ein Konzept, das er als „Existentialität versus reiner Funktionalität“ bezeichnet.
- Die Freiheit des Willens war ein Schlüssel für die Logotherapie des Wiener Arztes: Selbst unter schwierigen Bedingungen hat der Mensch Wahlmöglichkeiten. Für die Politik bedeutet dies:
- Fördern und fordern – beispielsweise in der Pädagogik, der Integration, der Rehabilitation, im Umgang mit Mitarbeitern, etc. Wir stehen vor einer schweren psychologischen Gesundheitskrise bei Kindern und Jugendlichen. In Frankls Sinn müssen wir die nächste Generation sowohl fordern als auch fördern: Ihnen etwas zutrauen, sie positiv anerkennen und ihnen Aufgaben übergeben. Es funktioniert in den Unternehmen (wie uns der HR-Chef von Red Bull anschaulich darlegte), es funktioniert in der Reha (wie der ärztliche Leiter des Rosenhügels erklärte) – es kann also auch für eine ganze Generation junger Menschen gelingen.
- Der Mensch ist nicht einfach Opfer seiner Bedingungen. „Raus aus der Opferhaltung“, sagte ein Teilnehmer. Unsere Gesellschaft ist weicher geworden, sie vergisst die Eigenverantwortung und pampert die Menschen. Die Politik übertrifft sich in Mitleid und Subventionen. In der Erziehung scheint Selbstüberwindung ein Tabuwort geworden zu sein, denn Schuld sind immer die anderen. Als Konsequenz stehlen wir den Menschen Aufgaben und Sinn. Wir müssen weg von einer Vollkasko-Mentalität (nach dem Motto „Was steht mir zu?“) hin zur Frage „Was erwartet das Leben von mir, wo kann ich meinen Beitrag leisten?“ Es ist an der Zeit, uns zu fragen, wie wir die Menschen dazu ermutigen können, Gestalter ihres Lebens zu werden, und sich die Frage zu stellen „Welcher Mensch möchte ich gewesen sein?“.
- 1988 erklärte Frankl in einer Rede vor 35.000 Menschen am Wiener Rathausplatz: „Der politischen Stile gibt es zwei und der Politiker zweierlei: Für die einen heiligt der Zweck die Mittel, während die anderen sich sehr wohl bewusst sind, dass es auch Mittel gibt, die den heiligsten Zweck entweihen können. In Wirklichkeit ist es aber gar nicht wahr, dass der Zweck die Mittel heiligt. Es kann schon deshalb nicht wahr sein, weil einem Menschen, für den alles nur Mittel zum Zweck ist, auch der Zweck nicht heilig sein kann. Denn wem jedes Mittel recht ist, dem ist überhaupt nichts heilig.“ (Link zur gesamten Rede: https://www.praxis-logotherapie.de/rede-von-viktor-e-frankl/)
- Und weiter sagte er dort am Rathausplatz, im Sehnen nach Frieden und Freiheit, und als Plädoyer für Vernunft, Konsens, Verbindendes und Versöhnung: „Und es ist dieser Typus von Politikern, dem ich zutraue…die Forderung … darin zu sehen, dass alle, die guten Willens sind, einander die Hände entgegenstrecken, hinweg über alle Gräber und hinweg über alle Gräben.“
Einige Eindrücke von der Veranstaltung:











