Artikel in der Tagespost: Die Benedikt Option nicht als Rückzugs-Option verstehen
11. Februar 2019
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Am 06. Februar veröffentlichte die Tagespost folgenden Artikel von meinem Mann Martin und mir zu dem viel diskutierten Bestseller “The Benedict Option”:

Mitreden und mitgestalten

Die Benedikt Option nicht als Rückzugs- Option verstehen: Warum die Öffentlichkeit die Christen braucht. Von Gudrun und Martin Kugler

Selten ruft ein „religiöses“ Buch so starke und gegensätzliche Reaktionen hervor.

Rod Drehers US-Bestseller „The Benedict Option“ wurde von vielen gebildeten Katholiken vehement begrüßt. Endlich ein Buch, das Klartext über den Niedergang des Christentums in der westlichen Gesellschaft spreche. Sie empfehlen Drehers zentrale These von der Notwendigkeit eines „strategischen Rückzugs“: Der Anspruch, Politik und öffentliches Leben mitzugestalten, sei zugunsten einer Art monastischer Gegenkultur aufzugeben. Gerade dies halten wir jedoch für ein gefährliches Missverständnis.

Die Hauptaussage der „Benedikt Option“ lautet also: Das Christentum ist als gestalterische Kraft bereits untergegangen. Und als Folge ist unsere Zivilisation dabei, auch unterzugehen. Dreher plädiert für einen Rückzug aus der Gesellschaft. Er richtet sein Buch an die letzten versprengten Schafe und ruft ihnen zu: „Bauen wir unsere eigenen Subkulturen auf. Kehren wir zurück auf die lokale Ebene. Mit unseren eigenen Kirchengemeinschaften. Gründen wir unsere eigenen Schulen. Werden wir Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr. Legen wir Gärten an. Kehren wir zurück zur körperlichen Arbeit. Wichtig ist, dass wir den Glauben an unsere Kinder weitergeben.“

Persönlich konstatieren wir Rod Dreher die allerbesten Absichten. In fast jeder These steckt auch eine Wahrheit. So finden sich in der Benedikt Option viele wichtige Anstöße, den eigenen Glauben ernster zu nehmen, mutiger zu sein und sich bewusster negativen kulturellen Entwicklungen entgegenzustellen. In seiner Analyse hat er vieles richtig erkannt und wortgewandt verdeutlicht. Aber wenn der Kompass bei einer Ozeanüberquerung um nur ein Grad falschliegt, dann verfehlt das Schiff sein Ziel. Und gerade Drehers Ausführungen in Bezug auf das politische Verhalten von Christen erscheinen uns unreflektiert und missverständlich, teilweise auch schlichtweg falsch.

Hier einige Beispiele: In Bezug auf das öffentliche Engagement schreibt Dreher immer wieder, Christen sollen sich fast gänzlich aus der Politik zurückziehen. Als Vorbild nennt Dreher Lance Kinzer, einen ehemaligen Politiker aus Kansas, der sich dort erfolgreich für den Lebensschutz und die Gewissensfreiheit einsetzte und dann eine Niederlage einstecken musste. Seinen Rückzug in die Anwaltskanzlei beschreibt Dreher wortreich als richtige Entscheidung. Er könne sich jetzt mehr seinem Gebetskreis widmen und einen Kurs über Augustinus‘„De Civitate Dei“ halten. Wie bitte? Schade um Herrn Kinzer in der Politik! Er fehlt dort sicherlich. „Ganz sollen sich Christen aber doch nicht zurückziehen“, schreibt dann Dreher wiederum, denn sie sollen „weiterhin für Politiker beten und zu ihnen prophetisch reden“. Im katholischen Weltverständnis ist das zu wenig.

Warum sich Christen nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen sollen

Dreher vergleicht die heutigen Christen des Westens mit den Dissidenten des europäischen Kommunismus. Ziviler Widerstand war damals eine moralische Verpflichtung, Änderungen im System durch Mitgestaltung jedoch unmöglich. Dieser Vergleich trifft nicht zu, denn so weit ist es jedenfalls (noch) nicht gekommen. Wobei das „noch“ gerade von der Mitgestaltung der Christen abhängt. Dafür gibt es genug Beispiele, angefangen von vielen einzelnen mutigen Christen in Politik und Medien bis zu gut besuchten und hochkarätig besetzten christlich-orientierten Events. Christen können laut Dreher nur noch „Samisdat“ produzieren – selbst gedruckte, unter der Hand verteilte Schriften. Das entspricht nicht der Realität. Christen melden sich – wenn auch als Minderheit und oft unter Druck – auf vielen Ebenen im Westen zu Wort. Manche verdienen sogar richtig gut Geld damit. Es stimmt, einige werden verhöhnt, zurückgesetzt, ja sie verlieren vielleicht sogar ihren Job. Dissidenten wurden hingegen eingesperrt, gefoltert, umgebracht.

Wobei Dreher Recht damit hat, dass sich die Schlinge zurzeit enger zieht. Wer treu seinen christlichen Prinzipien folgt, bekommt häufiger berufliche Schwierigkeiten. Wer in den USA einer Anwalts-Vereinigung beitreten möchte, muss einen Verhaltenskodex unterschreiben, der bereits die Diskussion einer kritischen Haltung gegenüber Homosexualität unter berufliche Sanktionen setzt, sagt Dreher. Umso mehr sollten nun unseres Erachtens Christen „klug wie die Schlangen“ Wege finden, auf diese kulturelle Übermacht zu antworten: etwa durch Gründung einer eigenen Anwalts-Vereinigung. Sogar in den kommunistischen Ländern haben die Christen nicht aufgegeben, dort, wo es möglich war, in die Strukturen der Gesellschaft zu drängen. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist die polnische Gewerkschaft Solidarnosc. Lech Walesas Siegeszug bestand aus ständigem Ausreizen und Ausdehnen der bestehenden Möglichkeiten. Der von Dreher angeführte Gemüsehändler aus Vaclav Havels Schriften, der sich weigert, ein kommunistisches Plakat aufzuhängen, ist ein Held. So müssen Christen wo notwendig auch heute handeln. Aber wenn der Gemüsehändler das Zeug zum Bürgermeister hat, sollte er Schritte über den passiven Widerstand hinaus setzen.

Laut Dreher sollen Christen so wie die Dissidenten Geheimuniversitäten gründen und dort die christliche Lehre im Verborgenen weitergeben. Das ist eine Überzeichnung, das ist vorauseilender Pessimismus. Auch Professoren, die stets zu ihrem Glauben stehen, dürfen – wenn sie nicht ganz ungeschickt sind – weiterhin als Christen unterrichten! Gerade dort tragen sie zur Meinungsbildung der Eliten bei. Warum sollten begabte junge Christen nicht an Lehrstühle und in Redaktionen drängen? Mit dem Marsch durch die Institutionen hat die Linke ihren Siegeszug angetreten. Auch wenn es schwierig ist und manchmal persönlichen Heroismus verlangt: Christen müssen immer auf den Hauptplatz drängen und ihr Licht nicht unter einen Scheffel stellen!

Was für den Menschen „ökologisch“ ist, wird sich irgendwann durchsetzen

Rod Dreher hätte mehr (Papst) Benedikt lesen sollen. Dann hätte er nicht einen „strategischen Rückzug“ gefordert und wäre vielleicht auch nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ratzinger/Benedikt sprach häufig von einer Ökologie des Menschen, von einem Gesetz, das den Menschen ins Herz geschrieben ist, früher genannt Naturrecht (vgl. die große Rede Benedikts im Deutschen Bundestag im Jahr 2011). Alle Menschen haben eine Einsichtsfähigkeit für das Gute (auch wenn es zeitweise sehr verschüttet ist). Es hat Sinn „dranzubleiben“, weil sich diese Vernunft irgendwann in jedem Menschen melden wird. Denn dies Gesetz ist den Menschen „ins Herz geschrieben!“ (Röm. 2,14f.)

Nicht nur für Ausnahmen eintreten, sondern für den Schutz der Menschenwürde arbeiten

Laut Dreher ist das verbleibende Anliegen der Christen an die Politik die Aufrechterhaltung oder Schaffung von Ausnahmen von Gesetzen, die Christen in Gewissenskonflikte treiben würden. Genau das wäre aber ein Rückzug in ein Ghetto. Weil die Menschenwürde universal ist, dürfen wir bei Menschenrechtsverletzungen nicht zusehen. Für Christen genügt es nicht, dass ihre Kinder anders aufwachsen, anders behandelt werden. Der Anspruch des Christen ist es, Ungerechtigkeiten aufzuzeigen und zu bekämpfen, egal wen sie betreffen. Sonst liegt auf dem Land kein Segen! Der Europarechtsprofessor Joseph Weiler, selbst jüdischen Glaubens, ruft in „Ein christliches Europa“ den Christen zu: Reißt die Wände eures Ghettos nieder! Europa braucht euch! Wie sollen zudem Christen in Zeiten der Globalisierung und Verfügbarkeit der gesamten Welt auf Handybildschirmen inklusive sofortiger Kommunikationskanäle ihre Kinder „aus der Welt herausnehmen“? Dazu müssten sie ohne Strom und ohne Straßen leben! Dieser Plan kann gar nicht aufgehen.

Mag sein, dass der derzeitige übermächtige Mainstream in einigen wichtigen gesellschaftlichen Streitthemen die Überzeugung der Christen ins Out gespült hat. Aber der Gestaltungsanspruch der Christen ist viel breiter als das Unrecht der Abtreibung oder die Regelungen zum Thema Ehe und Homosexualität. Mit 1.1.2019 ist in Österreich mit dem Familienbonus die größte familienpolitische Steuerentlastung der Geschichte der Republik in Kraft getreten. Wertestudien zeigen, dass Familie und Kinder bei der jüngeren Generation hoch im Kurs stehen. Gegen Euthanasie besteht in vielen Ländern ein klarer Konsens, an dem nicht gerüttelt wird, auch wenn diese Praxis international propagiert wird. Für diese und viele weitere Anliegen lohnt es sich sehr wohl, auch weiterhin zu kämpfen!

Für die Papst-Benedikt- Option!

Ja, Dreher hat Recht, wenn er sagt, dass die Christen (partiell) den „Kulturkampf“ verloren haben. Falsch ist aber, dass dieser unwiederbringlich verloren ist. Der Heilige Benedikt wäre mit der Benedikt-Option nicht glücklich gewesen. Denn Drehers Buch ist eine „self-fulfilling prophecy“. Wenn die Christen tun, was er sagt, hat er in zwanzig Jahren Recht. Dann leben die Christen – wenn sie Glück haben, mehr oder weniger unbehelligt – in christlichen Ghettos. Dort sind sie aber nicht Salz der Erde.

Die Papst-Benedikt-Option erscheint uns als realistische Alternative zu Drehers Rückzugs-Option. Wir können noch die Kurve kratzen! Dafür dürfen wir aber die Segel nicht einziehen. Natürlich müssen lokale Communities aufgebaut werden. Natürlich müssen die Christen mutiger und innerlicher sein! Ein Beispiel geben wie Leben gelingen kann!

Aber die Welt, die den Menschen von Gott anvertraut wurde, ist noch lange nicht verloren. Wer nur auf den eigenen westlichen Bauchnabel blickt, wird schnell pessimistisch. Gleichzeitig werden die wachsenden Erneuerungsbewegungen und die unkompliziert ihren Glauben lebenden Migranten einen Unterschied machen. Auch an die teils gegenläufigen Entwicklungen im Osten sei gedacht. Und wir dürfen nicht auf den wachsenden Einfluss von Teilen der Welt vergessen, die sich von der westlichen Hegemonie unter anderem aus gesellschaftspolitischen Gründen abwenden.

Es gibt also genug Gründe zur Hoffnung – auch auf jene Einsichten und Erfahrungen, die die Menschen etwas im Herzen erkennen lassen, was sie vielleicht nicht sofort zugeben. Die Haltung des Rückzugsgefechts ist keine Option für uns.

Gudrun Kugler ist promovierte Juristin, seit 2017 Abgeordnete zum österr. Parlament und Menschenrechtssprecherin der ÖVP.

Martin Kugler ist promovierter Historiker und Kommunikationsberater. Er leitet die PR-Agentur Kairos Consulting und das Portal kathTreff.org

Das Ehepaar lebt mit vier Kindern in Wien.

Quelle: https://www.die-tagespost.de/feuilleton/Mitreden-und-mitgestalten;art310,195570 

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